Grüne Linie = Gefahrene Strecke bis 29.8.2021
Letzter Tag in Reykjavik
Am 19. August wird der IVECO einer 6-stündigen Reparatur unterzogen. In dieser Zeit fussen wir hoffentlich ein letztes Mal durch Reykjaviks Strassen. In einem Café beobachten wir eine Frau, die eifrig strickt und somit ihren Beitrag leistet, dass die viele Schafwolle sinnvoll verwertet wird.
Nach dem Besuch des interessanten Besiedlungsmuseums fahren mit einem kleinen Schiff hinüber zur Insel Videy. Der Matrose ist ein richtiger „Seebär“ mit langem Bart und langen Haaren. Im ältesten Steinhaus Islands, gebaut Ende des 18. Jh., das während Jahrzehnten Wohnsitz bedeutender Politiker war, wird jetzt eine bescheidene Auswahl an Essen angeboten. Wir nehmen das Fischragout, das ganz gut schmeckt. Die kleine Insel bietet keine umwerfenden Sehenswürdigkeiten, doch lohnt sich eine Rundwanderung der Aussicht und Bewegung wegen. Das Wetter ist trüb und kalt. Im Laufe des Nachmittags schippern wir zurück und nehmen unsere rollende Ferienwohnung in Empfang, repariert (das Auto) und bereit für neue Abenteuer (wir).
Die Westfjorde
Jetzt kann uns nichts und niemand mehr zurückhalten. Die Westfjorde rufen, jener Teil Islands, der unendlich zerklüftet ist, grandiose Landschaften und eine Vielzahl an Sehenswertem bietet.
Wir fahren die Ringstrasse wieder nordwärts, die wir vor ein paar Tagen südwärts gefahren sind. Das Wetter ist noch etwas trüb, hellt aber am Nachmittag auf. Zuerst kommen wir an den drei Grabrok-Kratern vorbei, die vor ca. 3000 Jahren entstanden sind. Ein weitläufiges Gebiet ist von Lavaformationen geprägt, die hellen Moose geben auf dem schwarzen Untergrund ein schönes Bild ab.
Nun zweigen wir ab auf die 60, später auf die 61 und sind schon am ersten Tag mitten in einer landschaftlich abwechslungsreichen und eindrücklichen Welt. Am Steingrimsfjord bei Holmavik finden wir einen idealen Platz für Nacht mit schönster Aussicht übers Wasser und in die Bucht namens Hunafloi.
Gut gesättigt kehren wir auf die 61 zurück, geniessen die Fahrt über einen Pass bis zu den nächsten Fjorden mit immer wieder Aussichten in alle Richtungen. In Reykjanes schauen wir uns das grösste Thermalbad der Westfjorde an. Das dazugehörige Hotel macht von aussen einen erbärmlichen Eindruck. Wie es von innen aussieht, entzieht sich unserer Kenntnis.
Schön hingegen ist der Aussichtspunkt Ögur mit seinen Steinformationen sowie dem Blick zu den leuchtenden Schneebergen an der Küste Hornstrandirs, des nördlichsten Inselarms der Westfjorde. Bei Hvitanes sichten wir ein paar der berühmten Robben. Sie ruhen sich gerade auf Felsen und Inselchen aus, bevor die Flut sie wieder ins Wasser holt. Schliesslich lässt es sich zuhinterst am Hestfjord (=Pferdefjord) ruhig und ungestört übernachten.
Schafe auf der Strasse gehören hier zum Alltag, aber die rund zwei Dutzend Schwäne, die am folgenden Morgen vor unserem Fahrzeug vorbeiwatscheln, haben bis jetzt Seltenheitswert. Immerhin können sie froh sein, dass ein aufmerksamer Chauffeur am Steuer sitzt!
Bei eher neblig-trübem Wetter fahren wir bis Isafjördur, dem grössten Ort der Westfjorde. In der Nacht beginnt es zu regnen und hört so schnell nicht wieder auf.
Ausflug nach Hesteyri auf Hornstrandir
Nach zwei Regentagen in Isafjördur wird für Mittwoch der schönste Tag der Woche prognostiziert. Wir wissen ja, dass in der Nähe des Polarkreises keine sommerlichen Temperaturen erwartet werden können, 10 - 15° sind das, was man hier Sommer nennt. Zu unserem grossen Erstaunen wird uns aber tatsächlich eine Beinahe-Tropennacht mit 19,5° beschert! Dieser „Ausrutscher“ nach oben korrigiert sich während des Tages schnell wieder auf Normalmass.
Bei wechselnd bedecktem Himmel und zügigem Wind unternehmen wir an diesem schönsten Tag der Woche einen Ausflug zum nördlichsten Inselarm Hornstrandir mit dem Titel „History at Hesteyri“, zusammen mit sieben weiteren Teilnehmenden. Schon die einstündige Überquerung des Isafjords in einem kleinen Schiff ist ein Erlebnis. Es stampft, spritzt und schüttelt gewaltig. Wenigstens empfinden wir Binnenländer es so. Der Guide meint, es sei „a little bit bumpy“. Für die Anlandung werden wir in ein Schlauchboot verfrachtet und ziemlich unzimperlich zum Steg geschleust. Schon am grauen Sandstrand sehen wir frische Spuren des Polarfuchses. Mehr lässt er allerdings nicht von sich blicken.
Beim winzigen Friedhof erzählt der Guide allerlei Geschichten, wahre und sagenhafte. Bevor wir weitergehen, muss er die Elfen vorwarnen, indem er dreimal an ein Glöckchen schlägt. Hesteyri war einst ein kleines, abgeschiedenes Fischerdorf, das mehr und mehr verlassen wurde, bis eine von Norwegen gebaute Walverarbeitungsstation den Menschen wieder ein gesichertes Einkommen bot. Als Island aber als eines der ersten Länder den Walfang verbot, suchten sich viele Einwohner erneut anderswo eine Existenzgrundlage. Erst durch das neu errichtete Hering-Verarbeitungswerk nahm das Dorf wieder einen Aufschwung. Doch eines Tages blieben die Heringschwärme aus, und zwar für immer. 1950 beschlossen die Menschen, das Dorf Hesteyri endgültig zu verlassen. Die meisten nahmen die Innenwände ihrer Häuser mit, um sie in ihrer neuen Heimat wieder zu verwenden. Nur ein paar wenige Häuser blieben intakt zurück, die heute von den Nachkommen der einstigen Besitzer gepflegt werden.
Eines dieser Häuser ist das ehemalige Doktorhaus. Dort erhalten wir einen Teller mit kleinen lokalen Häppchen wie Lachsbrötchen, Pancakes und Kuchen. Zur Unterhaltung singt die Hausherrin ein melancholisches isländisches Lied, begleitet von ihrem Ehemann am Akkordeon. Anschliessend demonstriert er uns ein spezielles Saiteninstrument, die „Langspil“ (lang ist das gleiche Wort wie in Deutsch und spil heisst Spiel).
Die Rückfahrt über den Fjord ist noch eine Spur ruppiger, aber die Schiffscrew ist so unbekümmert, dass wir uns ebenfalls keine Sorgen machen. Tatsächlich kommen wir unversehrt in Isafjördur an, erfüllt von einem besonders schönen Erlebnis.
Weiter durch die Westfjorde
Inzwischen hat eine Lastwagenwerkstatt bei unserem Iveco eine neue Einspritzdüse am Motor eingebaut. Bei Ankunft in Isafjördur am letzten Sonntag lief der Motor nur noch auf drei Zylindern. Das Ersatzteil kam aus Frankreich und die Unterstützung des Mechanikers wurde von IVECO Reykjavik gewährleistet. Dank guter Flugverbindungen des lokalen Flugplatzes hielt sich der erforderliche Reiseunterbruch in Grenzen und der „Campingplatz“ vor der Werkstatt, inklusive Stromanschluss und Blick zum Hafen, war gar nicht so übel. Heute Donnerstagnachmittag können wir nun weiterziehen. Es geht südwärts bis zum Dyrafjord, wo wir ein Traumplätzchen zum Übernachten finden. Allerdings dreht der Wind kräftig auf, rüttelt die ganze Nacht an unserem Häuschen und zudem trommelt heftiger Regen aufs Dach, sodass aus der erhofften ruhigen Nacht nichts wird.
Der nächste Tag ist trüb und regnerisch. Das ist besonders schade, weil wir am schönsten Wasserfall Islands vorbeikommen, dem Dynjandifoss. Er ist aber auch bei schlechtem Wetter schön, wir steigen den nassen, steinigen Weg hoch, um dem imposanten Wasserfall möglichst nah zu sein.
Was nachher folgt, gehört nicht mehr in die Kategorie schön. Eine schlechte, löchrige Naturstrasse führt über einen Pass und die bestimmt wunderschöne Dynjandisheidi (Heidi = Heide). Davon sehen wir allerdings praktisch nichts, dichter Nebel, Regen und böiger Wind vermiesen die Reise und fordern den Chauffeur. Na ja, es läuft halt nicht immer alles nach Wunsch!
Im Süden, am Breidafjord, sind die Verhältnisse etwas besser, sodass wir einen Abstecher westwärts nach Patreksfjördur unternehmen, bevor wir uns in östlicher Richtung langsam von den Westfjorden verabschieden. Ein letztes, romantisches Schlafplätzchen mit Blick zum „Breiten Fjord“ bildet den Abschluss. Auch hier werden wir zwar beinahe fortgeweht, doch nachdem Heinz unser Fahrzeug in Windrichtung gestellt hat, die Aussicht aus dem Heckfenster trotzdem gewährleistet ist und die Wohnung einigermassen horizontal steht (ein kleines Kunststück auf einem unebenen Kiesboden!), steht einer erholsamen Nacht nichts mehr im Wege.
Abschied von den Westfjorden
Am Samstag, 28.8. ist sogar das Wetter ganz passabel, sodass wir das letzte Stück ostwärts gebührend geniessen können. Wieder muss ein landschaftlich reizvoller Naturstrasse-Pass überwunden werden und auf dem Talweg ein Gefälle von 15%, hinunter nach Djupidalur (dalur = Tal). Wenig später geht’s definitiv Richtung Süden mit Fernziel Reykjavik. Diesmal aber nur, weil’s an der Route liegt, nicht weil wieder irgendetwas repariert werden muss!
Eingestellt am 30.8.21/mb