Gemütlich rollt unser Ferienhaus Richtung Hamburg. Zur Schonung von Pneus und Nerven ist der Tempomat auf 80 km/h gestellt und wir sind uns bewusst, dass wir damit auf deutschen Autobahnen zur Kategorie Hindernisse gehören. Die ganze Autobahnhektik flitzt an uns vorbei, während wir bereits ein leises Ferienfeeling spüren und versuchen, die Anspannung der vergangenen Wochen und Monate hinter uns zu lassen. Ja, wir haben alles Wichtige erledigt - nein, wir haben nichts vergessen - ja, die Zeit reicht gut für das, was noch getan werden muss - nein, wir sind jetzt nicht mehr im Stress - und ja, wir freuen uns wahnsinnig auf das, was uns erwartet!
Brav spult der Iveco Kilometer um Kilometer ab. Es leuchtet kein Warnlämpchen am Armaturenbrett auf, nichts deutet auf eine Unregelmässigkeit hin und wir werden immer zuversichtlicher, dass die diesbezüglichen Sorgen der Vergangenheit angehören. Hoffentlich! Zudem ist nichts Störendes mehr zu hören, mal abgesehen vom Motorgeräusch. Kein Scheppern, kein zwitscherndes Vögelchen (die Verriegelung der Durchgangstür), kein Auf- und Zuschlagen der Duschkabinentür. Alles behoben und bereinigt. Und die Unmengen von Material, Ersatzteilen, Werkzeug, Ausrüstungsgegenständen, Haushaltinventar, Nötigem und Unnötigem (von wegen!) sind hochsee- und offroadtauglich verstaut und verzurrt. Heinz mit seinem Sinn für Ordnung und Problemlösung hat unzählige gute Ideen eingebracht und es ist verblüffend, wieviel in einem 20-Kubikmeter-Häuschen überhaupt Platz findet.
Aus dem Radio plätschert Tanzmusik von James Last. Wir lassen alte Zeiten hochleben, als wir jung und ledig ab und zu einen Tanzabend im Hazyland verbracht hatten. „Damals leisteten wir uns einen Omnibus“, erinnert sich Heinz (das war der billigste Longdrink im Angebot). Meine Reaktion liegt auf der Hand: „…und heute leisten wir uns einen Camper!“
Jetzt leuchtet doch ein Warnlämpchen. Ein harmloses zwar, aber es stört. Das Standlicht hinten links brennt nicht. Die Ersatzteile sind zutiefst in der Heckgarage versorgt, man müsste die Velos herausnehmen, alle Kisten hervorziehen etc… Wegen eines Lämpchens! Wir versuchen es auf gut Glück mit der nächsten Ausfahrt. Hammelburg heisst der Ort und schon von der Autobahn aus erkennt man das Industriegebiet. Zielgerichtet steuert Heinz dorthin. Bei der Tafel „Express-Service für Busse und Lastwagen“ steigt er aus, erkundigt sich im Büro und fünf Minuten später leuchtet ein neues Lämpchen hinten links auf. Schnell und unkompliziert. Die Aktion hat uns total nicht mehr als eine Viertelstunde gekostet. Es möge doch in diesem Stil weitergehen!!!
Nach einer mässig erholsamen Nacht auf der Raststätte Kassel setzen wir die Reise vorerst bei Regen fort. Auf der Gegenfahrbahn herrscht kilometerlanger Stau, und das an einem Samstagmorgen! Langsam nähern wir uns Hamburg. Das Wetter hellt auf. Und jetzt ist der Stau auf unserer Seite. Allerdings kommt er uns gar nicht so ungelegen, haben wir dadurch doch genug Zeit, den Tafelwald zu studieren und auf Anhieb den richtigen Weg einzuschlagen. Problemlos finden wir unser Hotel am Vogelhüttendeich, unterstützt vom Navi und der TCS-Wegbeschreibung. Hier bleiben wir zwei Nächte, was uns Gelegenheit gibt, alles Nötige zu rekognoszieren und einen Teil von Hamburg zu besuchen.
Zuerst aber muss das Wohnmobil parkiert werden. Auf unsere vorgängige Anfrage hin wurde uns mitgeteilt, das Hotel verfüge über Standardparkplätze. Wir wagen’s trotzdem, denn unser Platzbedarf ist, abgesehen von der Höhe, nicht viel grösser als für einen grossen PW. Der uns zugewiesene Platz stellt dann aber an Fahrer und Lotsenfrau Anforderungen mittleren Grades. Rückwärts tastet Heinz sich zwischen Hausmauer und Drahtzaun in Position mit einem Abstand von gefühlten 5 cm pro Seite. Immerhin ist die Höhe kein Problem, oder etwa doch? Was optisch nicht wahrgenommen wird, macht sich akustisch bemerkbar: Das Zusammentreffen mit der Überwachungskamera an der Hausmauer! Da Heinz sofort reagiert, ist (wahrscheinlich) kein Schaden entstanden, jedenfalls nicht am Auto…
Am Nachmittag fussen wir den Weg bis zum Hafen ab, den wir dann am Montagmorgen mit dem Camper abfahren müssen. Eine Städtewanderung sozusagen, die nach den vielen Autostunden ganz gut tut, auch wenn sie nicht durch Hamburgs schönste Quartiere führt. Der Weg Richtung Stadt hingegen zieht sich in die Länge und wird zunehmend mühsam. Imposant ist die Elbeüberquerung über die elegante Elbbrücke. Dummerweise finden ausgerechnet dieses Wochenende die 12. Hamburger Harley-Days statt mit erwarteten 60‘000 Bikern, ein Monsteranlass ungeheuerlichen Ausmasses! Strassen und Restaurants sind verstopft und weil jeder Biker seinen „Sound“ demonstrieren muss, dröhnt und rattert es ohrenbetäubend durch die Stadt. Was in manchen Ohren als Musik empfunden werden mag, tut unseren einfach nur weh. Es muss wohl an den Ohren liegen.
Endlich entdecken wir ein ruhiges Restaurant im Hotel Ibis, wo wir uns erholen und den Hungerast verjagen können. Schliesslich landen wir am Bahnhof und finden uns am Ende sogar mit dem S-Bahnsystem zurecht. Die Rückkehr ins Hotel ist demzufolge nicht mehr zu Fuss, sondern mit Bahn und Bus.
Nachdem wir bereits alles Wichtige herausgefunden haben, können wir den strahlenden Sonntag richtig geniessen. Wir lösen eine Tageskarte und fahren zu den Landungsbrücken an der Nordelbe. Das Schlendern entlang der schönen Kaianlage ist ein wahres Vergnügen. Auf einem Platz nutzt ein gewiefter Mann den zügigen Wind aus, indem er ein grobes Schnurgeflecht in einen Kübel Seifenwasser taucht, in die Höhe hält und vom Wind schwallweise grosse, bunte Seifenblasen hervorzaubern lässt. Daran haben nicht nur Kinder ihre helle Freude.
Sehenswert ist die im Entstehen begriffene HafenCity mit dem neuen Wahrzeichen, der „Elphi“. Mit vollem Namen heisst das markante Gebäude Elbphilharmonie, das bereits vor seiner Fertigstellung als Skandalobjekt gilt. Massive Kostensteigerungen, endlose Bauverzögerungen (Eröffnung wird anfangs 2017 nach 10 Baujahren sein) und nicht zuletzt ein spezieller Baustil, entworfen von den Basler Architekten Herzog & de Meuron, sorgen für Aufsehen. Auf dem bestehenden Baukörper des backsteinernen Kaispeichers thront ein gläserner Aufbau mit geschwungener Dachform.
Auch eine Hafenrundfahrt lassen wir uns nicht entgehen. Sie ist äusserst interessant und beeindruckend. Selbst wenn uns nicht mehr alle Superlativen in Erinnerung geblieben sind, ist die Bedeutung des Hafens offenkundig. Riesige Krananlagen, riesige Containerberge, riesige Frachtschiffe.
Zum Schluss gehört noch ein Auge voll Reeperbahn dazu. Aber oha! Hier macht sich zum üblichen Menschenauflauf wiederum die Harley-Invasion breit, sodass unser Streifzug minimal ausfällt und wir bald fluchtartig das Weite suchen. Besser gefällt uns das Quartier ums schmucke Rathaus, wo wir uns schliesslich im „Stuttgarter Markt“ gemütlich verpflegen, bevor wir den Rückweg antreten. Im Hauptbahnhof besorgen wir noch Billette für die morgige Heimfahrt. Die direkten Züge, alle zwei Stunden ohne Umsteigen bis Zürich, sind sehr gut belegt. Wir reservieren zwei Fensterplätze, Abfahrt 12.24 Uhr.
Schöne Hafenpromenade
Blick zum "Kranwald"
Mississippi-Raddampfer
Der Seifenblasenmann
Nichts als Seifenblasen
UFO oder doch Seifenblase?
Dolce Vita am Kai
Hafenrundfahrt
Der Wecker holt uns am Montagmorgen um 5.45 Uhr aus dem Schlaf. Wir möchten so früh wie möglich am Hafen sein, denn laut Agentur kann das Prozedere zwei bis drei Stunden dauern, möglicherweise auch weniger lang oder vielleicht auch länger. Dank unserer Fuss-Rekognoszierung finden wir den Hafen und das O’Swaldkai problemlos. Der Name hat nichts mit einem komisch geschriebenen Oswald zu tun, sondern stammt vom Pionierkaufmann William Henry O’Swald.
Als Erstes muss die Fahrerkabine geleert werden, damit nicht sonst wer in Versuchung gerät, dasselbe zu tun: Monitor der Rückfahrkamera, GPS, Autoradio, Feuerlöscher demontieren, alle Fächer leeren, alles was nicht niet- und nagelfest ist ausräumen und in der abgeschlossenen Wohnkabine oder einem verschliessbaren Aussenstaufach versorgen, Autositze mit Schmutzüberzügen beziehen. Voilà. Anschliessend werde ich mit unserem Gepäck im Warteraum einquartiert, während Heinz vorschriftsgemäss die Warnweste überzieht und irgendwo verschwindet. Zwei bis drei Stunden, vielleicht auch weniger, vielleicht auch mehr… Zwischen den anderen Lastwagenchauffeuren richte ich mich häuslich ein, starte den Laptop auf, schreibe ein paar Sätze… und schon kommt Heinz strahlend daher. Alles erledigt! Das war weniger als eine Stunde! In ein paar Tagen wird die Atlantic Conveyor mit unserem Wohnmobil in See stechen. Gute Reise!
Rechtzeitig sitzen wir im bequemen Zug und um 21 Uhr sind wir wieder zu Hause. Rundum zufrieden und erleichtert. Wie heisst es doch so schön? Anfang gut, alles gut... oder so ähnlich.