Am Ende wird alles gut. Wenn es nicht gut wird, ist es noch nicht das Ende
Oscar Wilde
Seit dem 24. Oktober sind wir wieder unterwegs. Unser Wohnmobil schwimmt zurzeit noch auf dem Atlantik und soll gegen Ende November in Montevideo (Uruguay) an Land gehen.
*************************************************************
Zuerst verbringen wir ein paar spannende Tage in Buenos Aires. Wir sind beeindruckt von der Grossstadt, den Gebäuden, Plätzen, Statuen, Parks, den Fussgängerströmen, als wäre die halbe Stadt auf den Beinen, den Demonstrationen von indianischen Minderheiten für mehr Chancengleichheit, dem dichten und doch erstaunlich geordneten Verkehr.
In der Fussgängerzone tönt es alle paar Meter „cambio cambio cambiooo!!!“ Obschon Geldwechsel auf dem Schwarzmarkt verboten ist, scheint das Geschäft zu florieren. Wir machen’s comme il faut in einer Wechselstube, weil wir ja nicht wissen, wie umständlich das ist.
Für das legale Wechseln von müden 90 Euros muss man sich in die lange Schlange stellen, dann zwecks Registrierung den Pass vorzeigen und diverse Fragen beantworten. Auch für eine simple Touristen-Stadtrundfahrt werden die Pässe verlangt, damit die Personalien registriert werden können. Am besten gewöhnen wir uns einfach daran, dass alles anders ist.
Besonders gefällt uns das Quartier La Boca mit seinen bunten Farben. Es ist ein altes Hafenviertel, wo sich im 19. Jh. vorwiegend ärmere italienische Einwanderer ansiedelten und wo der Tango erfunden wurde. Die originellen Häuser wurden aus Blech erbaut, angeblich aus dem von abgewrackten Schiffen, und dann sehr bunt und dick mit Schiffslack bemalt.
Hauptplatz Plaza de Mayo
Plaza de Mayo
Kathedrale
Fussgängerströme
Demonstration
Ave. 9 de Julio
Ave. 9 de Julio
Wahrzeichen von Buenos Aires: Obelisk
Auch die Hafenpromenade von La Boca ist bunt
Mit der Schnellfähre Francisco, benannt nach dem aus Buenos Aires stammenden Papst, sausen wir über das bis zu 220 km breite Delta des Rio de la Plata nach Montevideo, wo wir nach 2 ¼ Std. eintreffen.
Nun sind wir auf der Fram, einem Expeditionsschiff von Hurtigruten. Die Route ist zwar eher schauklig als hurtig aber äusserst interessant: Montevideo - Falklandinseln - Südgeorgien (hat nichts mit Georgien zu tun) - Antarktische Halbinsel - Ushuaia - Flug zurück nach Buenos Aires.
Erstes Ziel sind die Falkland-Inseln, die wir in zweieinhalb Tagen erreichen werden. Die Fram fasst 240 Passagiere, ist aber aktuell nur mit 180 belegt. Das Leben an Bord ist sehr abwechslungsreich. Wenn wir nicht mit Anlandungen beschäftigt sind, wird ständig etwas geboten: Vorträge von Biologen, Ornitologen, Geologen, Besichtigung der Brücke mit Erläuterungen des norwegischen Kapitäns, Filme über den Falklandkrieg, über die Shackleton-Expedition in die Antarktis, über Wale, Pinguine etc.
Gleich am ersten Tag sichten wir ein halbes Dutzend Wale, d.h. vor allem deren Fontänen und Rückenfinnen. Grosse Sturmvögel und Wander-Albatrosse begleiten das Schiff und zeigen uns ihre eindrückliche Flugakrobatik.
Drei Anlandungen mit schnellen, wendigen Polarcirkel-Booten auf den Inseln Carcass, West Point und Saunders sowie ein halber Tag in Port Stanley stehen auf dem Programm. Auf schönen, aussichtsreichen Spaziergängen über karge Bergwiesen mit blühendem Ginster treffen wir viele Magellangänse mit ihren Kücken, Albatrosse, Esels- und Felsenpinguine.
Die pinguinreichste Insel ist Saunders, eine der grössten des Archipels. Gleich am Strand werden wir von Scharen von Eselspinguinen empfangen. Einige haben ein Ei auf den Füssen, das sie mit der Bauchfalte warm halten oder auf das sie sich bäuchlings legen. Wir sehen auch ein paar schöne Königspinguine und zwei grosse Jungtiere in ihrem braunen Federkleid, mit dem sie noch nicht ins Wasser können und deshalb regungslos darauf warten müssen, gefüttert zu werden. Eine Kolonie Felsenpinguine ist ebenfalls hier zu Hause. „Rock Hoppers“ heissen sie auf Englisch, weil sie vom Meer mit viel Ausdauer hoch auf die Felsen hüpfen. Bei unserem Besuch haben sie diese harte Arbeit schon hinter sich, trotzdem können wir beobachten, wie sie sich hüpfend fortbewegen.
Den Abschluss bildet ein Besuch von Stanley, der Hauptstadt der Falklandinseln. Die Gesamtbevölkerung der Inseln beträgt 2‘562 Einwohner, wovon 2‘120 in Stanley leben. Die Inseln gehören zu Grossbritannien, was man im Städtchen sieht, spürt und hört: Linksverkehr, rote Telefonkabinen, farbige Häuser mit gepflegten Gärtchen und natürlich die Sprache. Wegen des kalten Windes müssen wir uns gut einpacken. Der Rundgang führt zur Kathedrale, einem Walknochenbogen, der zur Jahrhundertfeier der britischen Verwaltung auf den Inseln 1933 aus den Kieferknochen von zwei Blauwalen errichtet wurde, zum Befreiungsdenkmal zu Ehren der Gefallenen im Falklandkonflikt mit Argentinien von 1982, zum Haus des Gouverneurs usw.
Carcass Island
Westpoint Island
Caracara
Albatrosse
Königspinguine und Touristen
Junge Königspinguine warten aufs Futter
Polarcirkel-Boot für Anlandungen
Stanley
Kathedrale von Stanley
Bogen aus Walkieferknochen
In Stanley blühen die Osterglocken
Zeitungsredaktion
Langsam beginnt das grosse Schaukeln. Zum Glück ist uns nicht schlecht, aber das Gehen wird schwierig und wir watscheln so ähnlich wie die Pinguine davon. Heinz wird auf der ganzen Reise ohne Medikamente auskommen. Ich bin nicht so mutig und sorge entsprechend vor, sodass wir beide die Reise inklusive das feine, reichliche Essen geniessen können.
Vor der nächsten Anlandung werden wir gründlich über das Verhalten gegenüber den Tieren und der Natur in Südgeorgien und der Antarktis informiert. Es gibt eine Antarktis-Vereinbarung, die viele Länder unterschrieben haben und die unter anderem bestimmt, wieviel und welcher
Tourismus in diesen sensiblen Gebieten verträglich ist. Das beginnt damit, dass Schuhe, Rucksäcke und Kleider peinlichst genau gesäubert werden müssen, um nichts einzuschleppen,was nicht dorthin gehört. Dann geht es darum, wo und wie man den Boden betreten resp. nicht betreten darf und selbstverständlich um das Verhalten der Tierwelt gegenüber, die in keiner Art und Weise gestört werden darf. Das begleitende Expeditionsteam wird jährlich aufs Neue geschult und muss dafür sorgen, dass die Passagiere sich strikte an die Regeln halten.
Im Übrigen wird extrem schlechtes, stürmisches Wetter vorausgesagt und man klammert sich an die Hoffnung, dass es vielleicht doch nicht ganz so schlimm sein würde...
In der Nacht hat ein Schneesturm getobt, sodass das Deck freigeschaufelt werden muss. Nun aber ist die Wettersituation gar nicht mehr so dramatisch. Bevor man an Land gehen darf, muss man die zwei südgeorgischen Inspektoren passieren, die an Bord gekommen sind, um unsere Gummistiefel und Kleider zu inspizieren. Obschon wir nach jedem Landgang durch eine Stiefel-Wasch-Desinfektionsprozedur müssen, finden die Inspektoren vereinzelt ein Grashälmchen, das sie von Hand aus dem Stiefelprofil klauben. Na ja, sie tun ja nur ihren Job.
Am Anfang nieselt‘s noch und es bläst ein garstiger Wind, doch nach und nach zeigt sich sogar die Sonne. Eine Vielzahl von Pelzrobben, See-Elefanten und Königspinguinen tummeln sich in den Buchten und lassen sich durch die fremden Besucher nicht aus der Ruhe bringen. Schön sind die grossen Pinguinkolonien mit sehr vielen Jungtieren. Die See-Elefanten liegen unendlich müde herum und die Mütter drehen sich nur widerwillig auf die Seite, um den bettelnden Jungen die Milchquelle zugänglich zu machen.
In Grytviken besuchen wir das Grab von Ernest Shackleton, dem bekannten Polarforscher, der 1914-17 als Erster den antarktischen Kontinent durchqueren wollte. Die Expedition scheiterte, weil sein Schiff im Packeis stecken blieb. Dennoch überlebten alle Expeditionsmitglieder unter widrigsten Bedingungen und konnten nach 635 Tagen gerettet werden. Alte, verrostete Walfangstationen erinnern an das unrühmliche Kapitel anfangs des 20. Jahrhunderts, als fast der ganze Bestand wegen des aus dem Blubber der Wale gewonnenen Öls ausgerottet wurde.
Nun schippern wir weiter in südwestlicher Richtung der Antarktischen Halbinsel entgegen. Zuerst geht es der Südgeorgischen Küste entlang, man sieht das verschneite Gebirge und einige bis ins Meer reichende Gletscher. Die Bergwelt erinnert an die Schweiz, nur die untere Hälfte passt nicht dazu. An ein paar imposanten Eisbergen vorbei kommen wir langsam ins offene Meer. Ein Sturm zieht auf mit Windgeschwindigkeit um 100 km/h, was 10 auf der Beaufort-Skala entspricht. Es schlingert gewaltig in alle Richtungen. In der Kabine rumpelt‘s und scheppert‘s, alles was nicht niet- und nagelfest ist, muss irgendwie befestigt werden. An Schlaf ist vorerst nicht zu denken, doch irgendwann siegt das Sandmännchen und ich träume, ich sei auf einem Schiff, auf dem es furchtbar schaukelt…
Auf See Richtung Antarktis
Die Fram schaukelt, stampft, bäumt sich auf und kracht wieder lautstark aufs Wasser zurück. Wir setzen uns in die Panorama-Lounge auf Deck 7 und schauen zu, wie immer wieder Wasser bis über diese Höhe hinauf spritzt. Die beiden geplanten Vorträge fallen wegen der hohen Wellen aus.
Als sich die Situation ein bisschen beruhigt, referiert der Geologe zum Thema Eis. Er ist ein humorvoller Mann, der sein Wissen auf unterhaltsame Weise an den Mann bzw. die Frau bringt. Zu Beginn macht er uns auf die Tüten aufmerksam, die überall aufliegen, damit bei diesem Seegang wirklich niemand zu spät die Toilette erreicht. In diesem Zusammenhang erzählt er eine Story, die einmal einer seiner Kolleginnen, einer Meeresbiologin, passierte. Sie hielt einen Vortrag und musste plötzlich hinaus stürmen. Es gelang ihr, rechtzeitig eine Tüte zu schnappen und alles ganz perfekt zu erledigen - nur hatte sie dummerweise das drahtlose Mikrofon immer noch an…
Erste Eisberge sorgten bereits für Aufregung, doch als wir in den Antarktis-Sund einbiegen, zieht ein wahres Schauspiel an uns vorbei. Gewaltige Tafel-Eisberge und wunderschöne Exemplare mit allen möglichen Formen geben dem Sund den Beinamen „Strasse der Eisberge“. Auf flacheren Eisschollen sitzen Pinguine, die hastig ins Wasser springen, wenn sie das grosse Schiff sehen. Ab und zu sitzen auch Robben auf dem Eis, aber die lassen sich von so einem Schiff nicht aus der Fassung bringen.
Eisberge im Antarktis-Sund
Die erste Anlandung findet bei strahlendem, warmem Wetter in Brown Bluff statt. Das vulkanische Gestein der „Braunen Klippe“ liegt am Ufer des Antarktis-Sund an der Spitze der antarktischen Halbinsel. Hier sind putzige Adélie- und Eselspinguine, Dominikanermöven und Kapsturmvögel zu Hause, ebenso Krabbenfresser-Robben, die gar keine Krabben, sondern Krill fressen. Auf der kleinen Insel Paulet treffen wir Adélie-Pinguin-Kolonien, die auf 200‘000 Tiere geschätzt werden und an einem Berghang brüten Blauaugenkormorane.
Es ist spannend, den Pinguinen bei der Arbeit zuzusehen. Mit ihren kurzen Beinen wackeln sie über Stock und Stein, über Schnee-, Eis- und Geröllfelder, steile Hänge hinauf und hinunter. Immer mal wieder fällt einer um und rappelt sich gleich wieder auf. Ihre Nester im steinigen Gelände bauen sie mit dem zur Verfügung stehenden Material: mit Steinen. Aber nicht mit irgendwelchen Steinen, die ja überall herumliegen! Sorgfältig sucht das Männchen jedes einzelne Stück aus und scheut dafür keinen Weg. Wir beobachten, wie einer von weither kommt mit einem Stein im Schnabel, den er seinem brütenden Frauchen liebevoll übergibt.
Die Devil Island liegt in der Weddell-See. Auch hier gibt es Adélie-Pinguine soweit das Auge reicht. Auf einer Wanderung in die Höhe öffnet sich ein herrlicher Blick aufs Meer mit seinen Eisbergen. Zu den Südshetland-Inseln gehören die kleine, sichelförmige Half Moon Island, welche Zügelpinguin-Kolonien beherbergt, sowie die Vulkaninsel Deception Island. Hier findet am 13.11.16 unsere letzte Anlandung statt. Die Caldera bildet einen natürlichen Hafen, wo auch eine Walfangstation errichtet worden war, die 1969 wegen wiederholter Ausbrüche des Vulkans geschlossen werden musste.
Dieser Sonntag, 13.11. ist ein absoluter Bilderbuchtag. Die Sonne strahlt, es ist angenehm warm und beinahe windstill. Am Abend bieten die vorwiegend philipinischen Angestellten in der Panorama-Lounge eine unterhaltende Show. Da kommt so einiges an Talenten zusammen: Der Tellerwäscher, der Bootsfahrer für die Anlandungen und andere überraschen mit schönen Gesangsstimmen, die Zimmermädchen, Küchenhilfen etc. geben philipinische Tänze zum Besten, der Barmixer jongliert gekonnt mit den Flaschen. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Etwa um 21.30 Uhr verabschiedet sich die Sonne. Sie hinterlässt einen hellen Streifen am westlichen Himmel, bis sie ein paar Stunden später wieder aufgeht. Gegenüber leuchtet der Supervollmond, der so nah wie seit 60 Jahren nicht mehr ist und entsprechend imposant aussieht.
Gegen Mitternacht erreichen wir die gefürchtete Drake-Passage, die Meeresstrasse zwischen den Südshetland-Inseln und dem Kap Horn. Hier gelten Wellen von 4 - 6 m als ruhige See. Die Überfahrt dauert 2 ½ Tage und ist tatsächlich „ruhig“. Das Schaukeln lässt uns zwar wieder wie alkoholisiert herumschwanken, doch es hält sich in akzeptablen Grenzen, man hat sich in gewissem Masse daran gewöhnt. Mit Schmunzeln stellen wir fest, dass ein solcher Wellengang auf dem Zürichsee Sturmwarnung auslösen würde. Aber wir haben enormes Glück: Ein starker Sturm ist für Donnerstag angesagt und wir kommen am Mittwochmorgen an!!!
Diese Schiffsreise ist für uns ein unbeschreibliches, tief beeindruckendes Erlebnis, das wohl jetzt schon zu den Höhepunkten der kommenden Reise zählt.
Inzwischen hat der Frachter mit unserem Wohnmobil neun Tage Verspätung. Wir haben also nach dem Rückflug nach Buenos Aires Zeit für ein paar weitere Tage in der Grossstadt und ebenso für die Besichtigung von Montevideo, bevor wir - hoffentlich - unser Wohnmobil heil und ganz in Empfang nehmen können. Dann startet die Südamerika-Reise in umgekehrter Richtung als ursprünglich geplant. Wie lange und wie weit wir es diesmal schaffen, ist offen. Wir sind vorsichtig geworden mit Prognosen und gehen zudem davon aus, dass Südamerika nicht in ein festgelegtes Schema passt.
Eingestellt am 17.11.16/mb